EncroChat - Open Letter of Concern

 

Gemeinsam mit Strafverteidigern aus ganz Europa sowie der NGO Fair Trials haben wir einen Offenen Brief verfasst, mit dem wir unseren massiven rechtsstaatlichen Bedenken und Sorgen, im Zusammenhang mit der Datenerhebung der EncroChats und der offensichtlichen Missachtung von Beschuldigtenrechten durch die ermittelnden Behörden, Ausdruck verleihen wollen.

 

Auch die Tagesschau berichtet - Encrochat-Kryptohandys: Durften die das? - hier geht es zum Artikel 

 

Die Hauptkritikpunkte unseres Appels sind:

 

𝗞𝗲𝗶𝗻 𝗥𝗲𝗰𝗵𝘁 𝗮𝘂𝗳 𝗲𝗶𝗻 𝗳𝗮𝗶𝗿𝗲𝘀 𝗩𝗲𝗿𝗳𝗮𝗵𝗿𝗲𝗻 

Die Art und Weise der Infiltration wird von den französischen Behörden unter dem Deckmantel des nationalen Verteidigungsgeheimnisses verschwiegen. Dies macht es denjenigen, die einer Straftat beschuldigt werden, unmöglich, die Richtigkeit, Authentizität, Zuverlässigkeit und sogar die Rechtmäßigkeit der gegen sie verwendeten Beweise zu überprüfen.

 

𝗠𝗮𝗻𝗴𝗲𝗹 𝗮𝗻 𝗧𝗿𝗮𝗻𝘀𝗽𝗮𝗿𝗲𝗻𝘇

Die verschiedenen Strafverfolgungsbehörden in ganz Europa stellen den Verfahrensbeteiligten bezüglich der Datenerhebung und der internationalen Zusammenarbeit und Involvierung der beteiligten Länder unterschiedliche, ja sogar völlig widersprüchliche Informationen zur Verfügung und erzeugen damit selektierte und verfälschte Sachverhalte, die offensichtlich an die jeweiligen nationalen strafprozessualen Gegebenheiten angepasst sind. Dort wo es kritisch wird, zieht man sich auf Geheimhaltungsvorschriften und fehlende Aussagegenehmigungen zurück. Dies gibt Anlass zu ernsten Bedenken hinsichtlich der Integrität und Zuverlässigkeit der Beweise, auf die sich die Strafverfolgung in ganz Europa stützt.

 

𝗘𝘅𝘁𝗿𝗮𝘁𝗲𝗿𝗿𝗶𝘁𝗼𝗿𝗶𝗮𝗹𝗲 𝗔𝘂𝘀𝘄𝗶𝗿𝗸𝘂𝗻𝗴𝗲𝗻

Es ist davon auszugehen, dass die französische Gendarmerie mit dem Hack eine extraterritoriale Zuständigkeit ausübte, die die Souveränität der einzelnen Mitgliedstaaten verletzte.

 

𝗔𝘂𝘀𝘄𝗶𝗿𝗸𝘂𝗻𝗴𝗲𝗻 𝗮𝘂𝗳 𝗱𝗶𝗲 𝗣𝗿𝗶𝘃𝗮𝘁𝘀𝗽𝗵𝗮̈𝗿𝗲

Es ist wahrscheinlich, dass der Hack die Grundrechte Tausender einzelner Bürger der Mitgliedstaaten berührt, darunter zumindest das Recht auf Achtung des Privat- und Familienlebens, das Recht auf freie Meinungsäußerung und das Recht auf den Schutz personenbezogener Daten, während eine angemessene Überprüfung durch eine unabhängige Justizbehörde in dieser Hinsicht völlig fehlt.

 

 

Die so häufig vom BGH geprägte Floskel, dass die StPO nicht zur Wahrheitserforschung um jeden Preis zwingt, scheint offensichtlich dann nicht zu gelten, wenn die vermeintlichen Ermittlungserfolge nur groß genug sind.

 

 

 

Was sich nunmehr landauf landab in deutschen Gerichtssälen abspielt, gleicht einem Katz- und Maus-Spiel zwischen Verteidigern und Ermittlern des BKA hinsichtlich der Involvierung des BKA und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main 𝘃𝗼𝗿 der Datenerhebung durch die französische Gendarmerie in Deutschland auf über 4.600 EncroChat Telefonen.

 

 

 

Das aktuellste Beispiel fand am vergangenen Montag vor dem Landgericht Bonn statt:

 

Rechtsanwalt Lödden hat einen der führenden Ermittler des BKA als Zeugen vernommen, der bereits vor der Datenerhebung beim BKA mit der Thematik befasst war.

 

Zunächst blieb er bei seiner, der bisherigen Aktenlage entsprechenden, Version, dass die deutschen Behörden zwar auf einer Eurojust-Konferenz am 09.03.2020 von der bevorstehenden Datenerhebung der Franzosen erfahren, dann aber bis zur tatsächlichen Datenbereitstellung Anfang April nichts mehr gehört hätten.

 

 

Auf Vorhalt einer internen Nachricht, die von den niederländischen Behörden im Auftrag des Joint Investigation Teams (JIT) an alle Daten empfangenden Länder am 27.03.2020 geschickt worden ist und in der um vorherige schriftliche Zustimmung zur Datenerhebung auf mobilen Endgeräten in den jeweiligen Jurisdiktionen gebeten worden ist, räumte der Ermittler des BKA ein, dass auch das BKA so eine Nachricht erhalten und auch zustimmend geantwortet habe. 

 

Mit dieser Aussage wird deutlich, dass 14 (!) OLG-Entscheidungen und unzählige erstinstanzliche Landgerichtsurteile in den letzten 1,5 Jahren, die allesamt langjährige Haftstrafen zur Folge hatten, auf der Grundlage eines falschen Sachverhaltes ergangen sind. Dieser falsche Sachverhalt wurde offensichtlich bewusst von den deutschen Ermittlern des BKA und der Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main so dargestellt und die in der Sache befassten Gerichte damit im Unklaren gelassen. 

 

So ein Vorgehen widerspricht sämtlichen rechtsstaatlichen Grundsätzen und ist mit nichts zu rechtfertigen. Die dafür verantwortlichen Personen müssen zur Rechenschaft gezogen werden.

 

 

Allein aufgrund der engagierten Zusammenarbeit und des Austausches mit Strafverteidigern aus ganz Europa war es möglich, dieses rechtsmissbräuchliche Ausnutzen von Geheimhaltungsvorschriften und Verschleiern von der aktiven Teilnahme einzelner Länder unter dem Deckmantel europäischer Agenturen (Eurojust, Europol), aufzudecken.

 

Unseren Open Letter of Concern finden Sie hier.