Massenüberwachung und fehlender Rechtsschutz - Eine Gefahr für den Rechtsstaat?!?

Unser Partner Rechtsanwalt und Strafverteidiger Christian Lödden hat in der juristischen Fachzeitschrift Strafverteidiger Spezial 2024, Heft 4, S. 169 gemeinsam mit Lukas Mania einen Aufsatz verfasst, der den fehlenden Rechtsschutz in den sogenannten Kryptohandy-Verfahren thematisiert.

 

Die sogenannten 𝐊𝐫𝐲𝐩𝐭𝐨𝐡𝐚𝐧𝐝𝐲-𝐕𝐞𝐫𝐟𝐚𝐡𝐫𝐞𝐧 (EncroChat, SkyECC, ANOM) haben europaweit für Aufsehen gesorgt: Über 200.000 Endgeräte wurden von 2019 bis 2021 überwacht, Daten analysiert und für Strafverfahren genutzt. Allein in Deutschland ist eine vierstellige Anzahl von Menschen aufgrund dieser Daten in Haft. 

 

𝐃𝐚𝐬 𝐏𝐫𝐨𝐛𝐥𝐞𝐦: 𝐅𝐞𝐡𝐥𝐞𝐧𝐝𝐞𝐫 𝐑𝐞𝐜𝐡𝐭𝐬𝐬𝐜𝐡𝐮𝐭𝐳 

In einem Rechtsstaat sollte jeder Bürgerin das Recht haben, staatliche Überwachungsmaßnahmen unabhängig gerichtlich überprüfen zu lassen. Doch bei den Kryptohandy-Verfahren fehlt genau diese Möglichkeit:

 

𝐈𝐦 𝐄𝐫𝐡𝐞𝐛𝐮𝐧𝐠𝐬𝐬𝐭𝐚𝐚𝐭 (𝐳. 𝐁. 𝐅𝐫𝐚𝐧𝐤𝐫𝐞𝐢𝐜𝐡):

Betroffene können die Rechtmäßigkeit der Datenerhebung praktisch nicht anfechten – oft fehlt es an einer Rechtsgrundlage oder der praktischen Anwendung

 

𝐈𝐦 𝐕𝐞𝐫𝐰𝐞𝐫𝐭𝐮𝐧𝐠𝐬𝐬𝐭𝐚𝐚𝐭 (𝐳. 𝐁. 𝐃𝐞𝐮𝐭𝐬𝐜𝐡𝐥𝐚𝐧𝐝):

Die Gerichte berufen sich auf den Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung (Art. 82 AEUV) und prüfen die Maßnahmen selbst nicht.

 

𝐊𝐨𝐧𝐬𝐞𝐪𝐮𝐞𝐧𝐳𝐞𝐧

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) hat mehrfach klargestellt, dass 𝐣𝐞𝐝𝐞𝐫 𝐁𝐞𝐭𝐫𝐨𝐟𝐟𝐞𝐧𝐞 𝐞𝐢𝐧𝐞𝐫Ü𝐛𝐞𝐫𝐰𝐚𝐜𝐡𝐮𝐧𝐠𝐬𝐦𝐚ß𝐧𝐚𝐡𝐦𝐞 𝐝𝐚𝐬 𝐑𝐞𝐜𝐡𝐭 𝐚𝐮𝐟 𝐰𝐢𝐫𝐤𝐬𝐚𝐦𝐞𝐧 𝐑𝐞𝐜𝐡𝐭𝐬𝐬𝐜𝐡𝐮𝐭𝐳 haben muss (Art. 8, 6 und 13 EMRK). In der aktuellen Entscheidung (A.L. und E.J. gegen Frankreich 44715/20 und 47930/21) hat der EGMR die Klagen als unzulässig verworfen, da die Kläger den vermeintlichen Rechtsweg in Frankreich nicht ausgeschöpft haben, obwohl es theoretisch eine Rechtsgrundlage gegeben hätte. Er stellt aber ausdrücklich fest, dass die Betroffenen einen „victim status“ und damit ein Rechtschutzbedürfnis in Frankreich haben müssen.

 

𝐖𝐚𝐬 𝐛𝐞𝐝𝐞𝐮𝐭𝐞𝐭 𝐝𝐚𝐬 𝐟ü𝐫 𝐝𝐢𝐞 𝐙𝐮𝐤𝐮𝐧𝐟𝐭?

Die bislang in Frankreich erhobenen Beschwerden von ausländischen Betroffenen wurden ausnahmslos als unzulässig zurückgewiesen. Ob sich das nach der EGMR-Entscheidung ändern wird, bleibt abzuwarten. Es bleibt aber dabei: Effektiver Rechtschutz kann nur in Frankreich gewährt werden. Daher sollten alle in Betracht kommenden Rechtsbehelfe in Frankreich eingelegt werden, sodass nach Rechtsmittelerschöpfung der EGMR angerufen und der Verstoß gegen die EMRK festgestellt werden kann.

 

Mehr dazu hier.

 

Die ausführliche Analyse findet sich in 𝐒𝐭𝐕 𝐒𝐩𝐞𝐳𝐢𝐚𝐥 𝟐𝟎𝟐𝟒, 𝐇𝐞𝐟𝐭 𝟒, 𝐒. 𝟏𝟔𝟗.

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