Wilder Westen in Deutschland – BGH legitimiert massenhafte Datenerhebung durch das FBI in Deutschland - ANØM

Der Bundesgerichtshof (BGH) veröffentliche heute eine Pressemitteilung zu einer Entscheidung (1 StR 54/24) über die Beweisverwertung der Chatinhalte aus dem Kryptohandydienst ANØM. Nach den aus der Pressemitteilung ersichtlichen, für den BGH maßgeblichen rechtlichen Erwägungen, ist die Entscheidung ein seltener Ausdruck reinen Verurteilungswillens, unabhängig von nationalem und europäischem Recht und Gesetz. 

 

ANØM war ein Kyptohandydienst, den das FBI entwickelt und betrieben hat. Da dies das FBI nach US-amerikanischem Recht nicht aus den USA heraus und auch nicht gegen US-Bürger durfte, bediente man sich angeblich der Hilfe eines EU-Mitgliedstaates. Um welchen Mitgliedstaat es sich handelt und auf welcher Rechtsgrundlage dort Beschlüsse das Betreiben des Kryptohandydienstes legitimiert haben sollen, ist nicht bekannt und wird unter Verschluss gehalten.

 

Der BGH stellt – im Einklang mit unionsrechtlichen Wertungen und der insofern bereits ergangenen Rechtsprechung – zu Recht darauf ab, dass die Frage, ob ein Beweisverwertungsverbot vorliegt, nach dem deutschen Recht zu beurteilen ist (forum regit actum). 

 

Sodann stellt der Gerichtshof allerdings fest, dass es für ein Beweisverwertungsverbot nicht entscheidend sei, ob die deutschen Ermittlungsbehörden in gleicher Weise hätten vorgehen dürfen. Damit sind diversen Beweiserhebungsmöglichkeiten im grenzüberschreitenden Sachverhalt Tür und Tor geöffnet. Wenn es nicht darauf ankommen soll, ob deutsche Behörden entsprechende Beweise nach der nationalen Rechtsordnung hätten erheben können, dann können in letzter Konsequenz womöglich auch Geständnisse aus Folter verwertet werden. Dass dies nicht überzeugt, erklärt sich von selbst.

 

Die Abwegigkeit der Entscheidung setzt sich fort, in dem der BGH es für ausreichend hält, dass der Inhalt der im Drittland ergangenen Beschlüsse den nationalen Behörden allein vom Hörensagen bekannt ist. Was und auf welcher Grundlage also genau entschieden wurde, brauche nach Ansicht des BGH keiner zu wissen. Insoweit könnten die ausländischen Beschlüsse stets unter Verschluss gehalten werden, da es nicht auf ihren Inhalt ankomme. Offensichtlich ist es für den BGH auch völlig unerheblich, ob es sich überhaupt um strafprozessuale Beschlüsse handelt. Demzufolge kommt es nicht einmal auf die tatsächliche Existenz an, wenn bereits die bloße Möglichkeit der Existenz vom Hörensagen ausreichend sein soll. Der Grundsatz der gegenseitigen Anerkennung wird damit zu einer nicht widerleg- und überprüfbaren Ermächtigungsgrundlage für uferlose Grundrechtseingriffe. Soweit der BGH ausführt, dass der Umstand, dass der Betroffene mangels Kenntnis nicht unmittelbar die im Drittland ergangenen Beschlüsse angreifen konnte, nicht zu einem Beweisverwertungsverbot führt, steht das diametral zu den jüngsten Entscheidungen des EuGH (C‑670/22) und EGMR (A.L. ET E.J. c. FRANCE 44715/20, 47930/21) und ignoriert die europäische Rechtsprechung in bemerkenswerter Weise.

 

Gleichwohl trifft die Pressemitteilung den Nagel an einer Stelle auf den Kopf: Im Zusammenhang mit den hohen Kosten und angesichts des auf kriminelle Kreise beschränkten Vertriebsweges zitiert der BGH folgendes: „designed by criminals for criminals“. So hat auch bereits die Generalstaatsanwaltschaft Frankfurt am Main festgestellt, dass das Bereitstellen und Live-Mitlesen der Chat aus ANØM-Handys eine strafbare Beihilfe darstellen könnte. Wenn der BGH das obige Zitat im Zusammenhang mit den vom FBI entwickelten und in Verkehr gebrachten Handys bringt, zeigt das die Absurdität der Entscheidung.

 

Der BGH erklärt die Beweisverwertung im Rahmen grenzüberschreitender Sachverhalte zum Wilden Westen, indem weder die Existenz eines Beschlusses aus einem Drittstaat, noch dessen Inhalt – und damit einhergehend die genaue Kenntnis der Existenz, Reichweite und Umstände der Maßnahme – geschweige denn eine nur im Ansatz zu erfolgende Vergleichsprüfung der nationalen StPO verlangt wird. Verwertbar ist demnach alles, solange es nur „die Richtigen“ trifft.

 

Hier ist die Pressemitteilung des BGH.

Kommentar schreiben

Kommentare: 0