BGH revidiert eigene Rechtsprechung – Angst vor den rechtsstaatlichen Folgen des KCanG?

Heute erscheint der Aufsatz „Keine ‚Angst‘ vor rechtsstaatlichen Folgen des KCanG – Die Verwendungsschranke und die EncroChat-Entscheidung des BGH“. Darin setzen Lukas Mania und Rechtsanwalt Lödden sich mit der umstrittenen Frage auseinander, ob EncroChat-Daten nach Inkrafttreten des KCanG noch in Fällen des (einfachen) Handeltreibens mit Cannabis verwertet werden dürfen.

 

Die obergerichtliche Rechtsprechung ist hier zutiefst gespalten: Während einige Oberlandesgerichte die neuen gesetzlichen Wertungen anerkannt und folgerichtig ein Beweisverwertungsverbot angenommen haben, haben andere sich mit teils abenteuerlichen Argumentationen über den Willen des Gesetzgebers (und die bisherige Rechtsprechung des BGH) hinweggesetzt.

 

Nun hat der BGH eine Entscheidung getroffen – und sie fällt anders aus, als viele erwartet haben. Entgegen seiner bisherigen Rechtsprechung hält er nun die Verwertung der EncroChat-Daten auch in Fällen für zulässig, die nach dem neuen Recht nicht mehr zur Anordnung einer Online-Durchsuchung berechtigen. Ein bemerkenswerter Kurswechsel! 

 

In der Pressemitteilung heißt es, dass die vom BGH in "EncroChat"-Fällen bislang vor allem auf den Zeitpunkt der Beweisverwertung in der Hauptverhandlung bezogene Verhältnismäßigkeitsprüfung anhand der Maßstäbe für besonders schwerwiegende Grundrechtseingriffe (vgl. § 100e Abs. 6 StPO) nach der EncroChat-Entscheidung des EuGH (Urteil vom 30. April 2024 - C-670/22) jetzt aber AUSSCHLIEßLICH bei der Beweisübermittlung vorzunehmen ist. Das ist ein bewusstes Missverständnis der Entscheidung des EuGH: In konsequenter Umsetzung der Entscheidung müssten die Wertungen und Voraussetzungen der Verwendungsschranke zum Zeitpunkt der Beweisübermittlung UND zum Zeitpunkt der Verwertung in der Hauptverhandlung vorliegen.

 

Der Aufsatz stellt genau diese Problematik in den Mittelpunkt: Wird hier bewusst der Versuch unternommen, die gesetzgeberischen Wertungen zu unterlaufen? Und vor allem: Hat der BGH am Ende doch „Angst“ vor den rechtsstaatlichen Konsequenzen der neuen Gesetzeslage und versucht, mit dieser Entscheidung kriminalpolitische Steuerung zu betreiben?

 

Die Entscheidung wirft viele Fragen auf – und gibt Anlass zu kritischer Diskussion. Gerne hier.

 

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